Sandra Briel


Ein CI kam für mich lange nicht in Frage...

Vorgeschichte:

Ich bin von Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig. Im Alter von etwa 3 Jahren bekam ich ein Taschenhörgerät, ein halbes Jahr später zwei HdO-Hörgeräte. Danach ging es mit der Sprachentwicklung stetig aufwärts. Später besuchte ich den Kindergarten und eine Schule für Hörgeschädigte. Telefonieren lernte ich erst mit ungefähr 14 Jahren! Nach dem Realschulabschluss machte ich eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Diesen Job übe ich auch heute noch aus.

Bis zu meinem Realschulabschluss hatte ich in der Schule verhältnismäßig wenige Probleme, allerdings war das Lernniveau für mich relativ niedrig. Die Anforderungen stiegen dann jedoch in der Berufsschule für Hörgeschädigte. Was ich im Kindergarten bzw. in der Vorschule gut fand, ist dass dort viel Wert auf Lautsprache gelegt wurde! Die Gebärdensprache eignete ich mir nebenbei während meiner Berufsschulzeit in der Freizeit an, da diese Kommunikationsform eine weitere Erleichterung brachte. Ich fand es jedoch schade, dass die Gebärdensprache im Unterricht nicht angewendet wurde.

Trotz sehr schlechter Audiogramm konnte ich die Sprache von mir bekannten Personen teilweise verstehen ohne auf das Mundbild zu achten!!! Seit ca. 1996 schlug ich mich mit einseitiger Hörgeräteversorgung durchs Leben, da ich auf dem rechtem Ohr vom Hörgerät nicht mehr profitieren konnte.

In den 90er Jahren las ich aus eigenem Interesse etwas über das Cochlear Implantat (CI). Das kam für mich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht in Frage, da ich noch telefonieren konnte und das Fernsehen verstand.

Mitte Juni 2000 erlitt ich auf dem „besseren“ linken Ohr einen Hörsturz. Meine HNO-Ärztin hatte mir schon ein halbes Jahr vorher prophezeit, dass ich auf mein „letztes Gehör“ achten soll, da dies irgendwann auch „flöten gehen“ würde! Danach war das Sprachverständnis nicht mehr so, wie ich es vor dem Hörsturz gewohnt war. Vor allem bereitete mir seitdem das Telefonieren große Schwierigkeiten.

Als Anfang August 2000 das Gehör zunehmend schwankte und öfters Tinnitus auftrat, ging ich zur HNO-Ärztin. Diese sagte mir, dass ich mich in Med. Hochschule Hannover (MHH) wegen eines CIs vorstellen sollte. Ich war über diese Diagnose nicht begeistert, zumal ich ehrlich gesagt zu diesem Zeitpunkt nicht viel vom CI hielt. Letztendlich dachte ich mir, dass die Voruntersuchung nicht schaden kann und ich hinterher weiß wie es um mein Gehör tatsächlich steht. Nach dem Arztbesuch, war ich erst mal niedergeschlagen. Mit der Zeit rieten mir meine Bekannten/Freunde auch, dass ich mich einmal über CI informieren sollte.

Zwischenzeitlich ging ich zu einem anderen HNO-Arzt um mich zu erkundigen, was dieser über meinen Hörstatus sagen würde. Er riet mir zu Infusionen und Sauerstoff-Druckkammertherapie. Dann bekam ich von der MHH einen Termin für die CI-Voruntersuchung im Oktober 2000.

Erwartungen/Vorstellung:

Zu diesem Zeitpunkt war mir bewusst, dass ich immer mehr auf Mundablesen angewiesen war und beim Telefonieren keine Stundengespräche führen konnte! Meine Erwartung beim Promotoriumstest war, auf dem rechten tauben Ohr Töne wahrzunehmen. An das CI hatte ich keine Erwartungen und ans Telefonieren dachte ich überhaupt nicht. Ich konnte mir kein Bild machen, inwiefern mir das CI den Alltag und das Berufsleben erleichtern könnte!

Voruntersuchung:

Am 23. und 24. Oktober 2000 wurden in der MHH der Promotoriumstest, Hörtest, Sprachverständnistest etc. durchgeführt. Es war gar nicht so schlimm. Ich war nur verblüfft, das ich trotz 5jähriger Taubheit alle Töne wahrnahm! Das gab mir zu denken!

Das Gespräch mit der Logopädin, Frau Rost, fand ich sehr hilfreich. Beim Abschlussgespräch teilten Prof. Dr. Lenarz und ein weiterer Arzt mir mit, dass ich von einem CI profitieren könnte und relativ gute Voraussetzungen hätte. Außerdem wären meine Erwartungen/Vorstellungen realistisch! Man empfahl mir, das CI auf dem schlechteren rechten Ohr implantieren zu lassen.

Bedenkzeitphase/Entscheidung:

Ich stellte mir noch mal die Frage, was ich mir letztendlich vom CI versprach. MIR WAR BEWUSST, DASS DAS CI KEIN WUNDERDING IST, SONDERN IM GLÜCKSFALL EINE ERLEICHTERUNG IN DER KOMMUNIKATION BRINGEN KANN!

WARUM ich mich jetzt für eine CI-OP entschied: Ich war auf das Mundabsehen angewiesen. Auf Dauer im Berufsleben – als einzige Schwerhörige unter hörenden Kollegen kann das anstrengend sein. Dazu kommt noch, dass ich auf dem rechten Ohr Taub bin, hatte ich eh nix zu verlieren.

Nach diversen Gesprächen mit CI-Trägern, Logopädinnen, Ärzten und Internet-Infos hatte ich mittlerweile meine Erwartungen etwas höher geschraubt. Ich hoffte jetzt, dass ich in kleinen Gruppen Gespräche verfolgen und vor allem vom Fernseher etwas mehr verstehen konnte, ggf. auch telefonieren. 

Im Freundeskreis musste ich mir von Gehörlosen und einigen Schwerhörigen Kommentare und Bemerkungen anhören, z.B.
„mit CI hört man auch nicht besser“
„mit CI darf man nicht schwimmen“
„durch CI wird man die Gebärdensprache nicht nutzen“ o. ä. 

Aber ich ließ mich zum Glück nicht irritieren!

Wichtig ist, dass man nicht denkt: 
CI oder DGS/LBG
CI löst Probleme
mit CI gibt keine Kommunikationsbarrieren

mit CI wird man 100 % hören.

Welches CI?

Nachdem ich das ganze Infomaterial durchcheckte, div. Gespräche u.a. mit CI-Trägern führte und aus medizinischer Sicht an kein CI-Fabrikat gebunden war, entschied ich mich für ein Nucleus Sprint24 von Cochlear! Die Gründe dafür waren, dass demnächst ein neues HdO mit eingebauter T-Spule, farbige Gehäuse, geringe Batterieverbrauch auf dem Markt kam.

OP-Zeit:

Am Montag, dem 26. Februar 2001, wurde mir das CI implantiert. Es trat Tinnitus auf. Ab und zu hatte ich auch Kopfschmerzen. Zwei Tage nach der OP bekam ich ein geschwollenes blaues Auge, das sich zum Glück nur als Bluterguss herausstellte. Aber das alles - außer der Tinnitus - hielt sich in Grenzen! Nach dem 14-tägigen KH-Aufenthalt wurde ich entlassen!

Basisreha in MHH:

Am 23. April 2001 war dann der große Tag. Ich quartierte mich wieder für zwei Wochen in der MHH ein. Ich war gespannt, wie es mit dem CI lief! Es wurde mir von einem Techniker der Sprachprozessor (SP) angepasst. Nun musste ich dem Techniker sagen, wann ich was hörte, ob es mir zu laut oder zu leise vorkam und am Ende mussten alle Frequenzen auf eine Lautstärke gebracht werden. Seufz, das war echt nicht einfach und erst recht nicht, WENN MAN WIE ICH NOCH NIE DIE HOHEN UND TIEFEN TÖNE RICHTIG AUSEINANDER HALTEN KONNTE!!! Als dann die Programme gespeichert und das CI frei geschaltet wurden, erschrak ich mich, da ich auf einmal den Techniker sprechen hörte. Die Sprache klang noch blechern, abgehackt, ungewohnt, was lt. Aussage vom Techniker normal sei. So ging ich mit dem CI zur Logopädin, Frau Dr. Illg, zum Hörtraining. Dort wurden mir einige Instrumente vorgespielt, die ich relativ gut auseinanderhalten konnte.

Während der gesamten Reha wurden täglich 2 Mal á 45 min. Hörübungen u. a. per CD und Video gemacht.

Am 4. Tag nach der SP-Anpassung sollte ich das Telefonieren mit der Logopädin testen. Dies klappte nicht, ich hörte zwar, verstand aber nix und war darüber keineswegs enttäuscht! Am 5.Tag wurde der SP nachjustiert und anschließend klappte das Telefonieren einigermaßen. Dann merkte ich, dass die Logopädin auf einmal was anderes sprach, was nicht auf der Textvorlage stand! Ich war dann irritiert und versuchte – trotz auftretender Unsicherheiten - das Gespräch zu verfolgen. Es klappte schon relativ gut. Danach rief ich bei meiner Mutter an. Es verlief einigermassen gut, auch wenn die Logopädin einige Male wiederholen musste, was meine Mutter sagte. Es war ganz schön anstrengend.

In der ersten Woche nach der SP-Anpassung bekam ich ab und zu abends Kopfschmerzen, da das Hören/Verstehen anstrengend war und ich mich auch erstmal an das „neue“ Hören gewöhnen musste. Am 4. Mai wurde ich entlassen.

Fazit: Ich hörte viele Geräusche, die ich aber noch nicht differenzieren konnte. Sprache konnte ich mit Mundabsehen und CI immer besser verstehen. Vor allem konnte ich Geräusche z.B. das Klappern der Schuhe aus weitere Entfernungen, Vogelgezwitscher, Hubschrauber, Bohrmaschinen, etc. wahrnehmen! Während der Reha-Zeit verzichtete ich überwiegend auf das Hörgerät – da ich selbst testen wollte wieviel ich nur mit CI klar kam. Vorher hatte ich Bedenken, ob ich so salopp auf das Hörgerät verzichten könnte.

Alltag:

Ich merkte recht schnell, dass zwischen Standardhörtraining und Alltagskommunikation WELTEN liegen! Bei mir bekannten Personen musste ich mich bei der Kommunikation nicht mehr allzu sehr anstrengen. Fernsehen verstand ich mit dem Induktionskabel immer besser. Das Telefonieren ließ anfangs zu wünschen übrig, ich habe nochmals ca. ein halbes Jahr gebraucht, bis ich mit dem CI mit mir bekannten Personen halbwegs telefonieren konnte. Auch telefonieren mit dem Handy ohne Zubehör habe ich mich gewagt und es klappte auch teilweise ganz gut!

Vorübergehender Umstieg vom Taschen-SP SPrint24 auf HdO-ESPrit3G

Im Nov./Dez. 2001 testet ich das neue HdO ESPrit3G. Vom Tragekomfort gefiel mir der ESPrit3G zwar gut. Aber leider konnte ich mit dem ESPrit3G wesentlich schlechter verstehen als wie mit dem SPrint 24! Mit Hilfsmittel klappte es überhaupt nicht. Da es im Endeffekt nicht nach meinem Wunsch lief, gab ich frustiert den ESPrit3G vorerst wieder ab. Meine Freunde und Eltern bauten mich zum Glück auf und meinten, dass ich jetzt erst recht am Ball bleiben soll, damit ich mich ggf. irgendwann doch noch mit den ESPrit3G anfreunden kann!

Rehazeit in Bad Berleburg:

Am 10. Januar 2002 machte ich in Bad Berleburg eine 6-wöchige Reha. Da ich vor knapp 2 Jahren schon einmal dort war, wusste ich, was auf mich zukam und freute mich eigentlich darauf. Leider kam in nicht in mein „Wunschzimmer“! Nach dem Aufnahmegespräch mit dem Stationsarzt wurde ein Therapieplan aufgestellt. Somit bekam ich Rückenschule, Einzel- sowie Gruppenhörtraining, Massagen, Sport etc. Ich war den ganzen Tag ausgelastet. Nach dem ersten Hörtraining war man mit mir ganz zufrieden. Da ich vieles verstand, gab man mir schwierigere Hörübungen und meine Konzentrationsfähigkeit wurde sehr beansprucht. Da ich relativ gute Kombinationsfähigkeit besitze, konnte ich mit mir unbekannten Themen/Texten nicht viel anfangen und war total auf das HÖREN angewiesen. Dies gefiel mir aber sehr gut und ich habe somit diese Herausforderung gerne angenommen J. Das Gruppenhörtraining verlief dagegen für mich etwas unglücklich, da zu Rehabeginn wegen Logopädenmangel bzw. –wechsel, eine kleinere Gruppe CI-Träger als sonst im Hause war! In dem Gruppenhörtraining war es z.B. ein Vorteil, dass jeder CI-Träger was vorlas und die anderen „verstehen“ sollten, was gesagt wurde. Somit musste man sich auf wechselnde Sprecher konzentrieren. Das Einzelhörtraining fand an vier Tagen und das Gruppenhörtraining an fünf Tagen in der Woche statt. Des Weiteren nahm ich regelmäßig an Sport, Massagen und Ergometertraining teil! In der Freizeit ging ich in die Sauna, ins Schwimmbad, spielte öfters Billard und versuchte mich in der Malereistube ( hätte gar nicht gedacht, dass mir die Malerei Spaß machen würde).

FAZIT: Insgesamt gefiel mir die Reha bis auf ein paar Kleinigkeiten (z.B. vom Gruppenhörtraining hätte ich mehr erwartet) ganz gut. Am 21. Februar beendete ich meine Rehazeit in Bad Berleburg.

2.Versuch: HdO-ESPrit3G:

Nach Ende meines Rehaaufenthaltes erfuhr ich von anderen Nucleus-Trägern, wie gut sie mit dem ESPrit 3G klar kamen. Ich wurde stutzig, weil das bei mir beim ersten Test nicht geklappt hatte. Auch wenn ich mich mit anderen CI-Trägern nicht vergleichen darf, wollte ich nicht akzeptieren, dass ich mit dem HdO mehr als 35% schlechter verstand als mit dem Taschen-SP. Mit den SPrint 24 hörte ich relativ gut und lt. Aussage des Technikers sollte der ESPrit 3G gleichwertig sein oder sogar einen Tick besser! Nach den mehrmaligen Anfragen erreichte ich, dass ich den ESPrit 3G noch einmal testen durfte.

Diesmal wurde sich mehr Zeit für die Anpassung genommen und man ging auf meine Wünsche ein. Am Ende bemerkte ich schon, dass es irgendwie anders klang. Jetzt war wieder die Frage, wie ich mit dem ESPrit3G in Alltagssituationen klarkommen würde.

Schon nach wenigen Tagen bemerkte ich, dass ich mit dem ESPrit 3G fast genauso gut hörte wie mit dem SPrint 24. Das Anschließen von Hilfsmitteln klappte gut. Mit der T-Spule konnte ich mich auch besser anfreunden. Die T-Spule testete ich schon in der Kirche – es war zwar ein leichtes Rauschen zu hören, aber ich konnte den Pastor trotzdem relativ gut verstehen. Und beim TV gucken hörte ich auch über die Induktionsleitung mit T-Spule. Auch das Telefonieren klappte jetzt mit sowie ohne T-Spule! Als weiteres Hilfsmittel zum CI nutzte ich den MicroLink/miniFM, welche mir bei Gruppengespräche und Fernsehen sehr von Nutzen ist, und für das Handy besitze ich ein T-Link-Kabel! Mit der T-Link kann ich mit dem Handy über die T-Spule telefonieren!

FAZIT: Ich bin froh, dass ich trotz des Hick-Hacks mit Cochlear den Glauben nicht verlor und irgendwie immer in Kontakt blieb, auch wenn mich das einige Nerven kostete.

Zusammenfassung:

Bevor ich mir das CI implantieren ließ, waren meine Erwartungen sehr niedrig. Jetzt bin ich mit dem CI mehr als zufrieden, da ich wesentlich mehr herausholte als ich mir vorher jemals erträumt habe. Von den Geräuschen wurde ich nicht allzu sehr erschlagen, da mir einiges als Hörgeräteträgerin schon bekannt war. Ich kann jetzt in lauter Umgebung Gespräche etwas entspannter verfolgen. Vor allem macht mir das TV gucken wieder mehr Spaß! Was mich in der Anfangszeit unheimlich störte, dass ich das Ticken einer Uhr oder das Gebläse des Dunstabzugs in der Küche hörte. Da ich nicht mit jedem x-beliebigen telefonieren kann, vermeide ich nach Möglichkeit dienstliche Telefongespräche. Nun trage ich ab und zu auf dem linken Ohr das Hörgerät! Es allein reicht für Sprachverständnis nicht aus, aber in Kombination mit dem CI komme ich ganz gut zurecht!

Die größten spürbaren Hörerfolge erzielte ich in den ersten 4 - 6 Monaten! Mittlerweile merke ich zwar keine großen Sprünge mehr, aber ich entdecke von Zeit zu Zeit immer wieder das eine oder andere Hörerlebnis.

Zur Zeit versuche ich deutsche Liedertexte, Gespräche im Lärmbereich, Tischgespräche in der Familie, Nachrichten aus dem Autoradio oder TV-Sendungen zu verstehen und genieße in dieser Sommerzeit das Vogelgezwitscher. Außerdem telefoniere ich regelmäßig mit meiner Mutter.

Zum Schluss möchte ich mich noch bei euch, meinen Freunden, Bekannten und Eltern, sowie allen, die mir Rede und Antwort standen, für die Unterstützung bedanken. Und großen Dank auch an die MHH.

Sandra Briel
(Hinweis: Dieser Bericht wurde im Oktober 2002 geschrieben – Im Februar 2003 in Zeitschrift „Schnecke“ veröffentlicht – überarbeitet Ende Februar 2003)
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