Maike Stein


Erfahrungsbericht mit dem CI...

(In teilweise gekürzter Form ist dieser Bericht in der Schnecke (= Zeitschrift für CI-Träger und Interessenten) Mitte 2002 erschienen.)

Ein CI wird für erwachsene, von Geburt an gehörlose Menschen grundsätzlich nicht in Betracht gezogen, da solche Menschen in der Regel nicht die Möglichkeit hatten, eine Art Hörzentrum bilden zu können und daher kaum vom CI profitieren können.
Wie ich als erwachsene, von Geburt an Gehörlose, die auf auditivem Wege vor dem CI nie Sprache verstehen konnte (Hörverlust rechts und links: knapp 120 dB; Aufblähkurve mit Hörgeräten nur bis 1000 Hz) dennoch zum CI kam - davon soll hier berichtet werden.
Bereits mit 6 Monaten, was für die damalige Zeit, 1969, ungewöhnlich früh ist, wurde die Diagnose der Gehörlosigkeit bei mir gestellt. Dank meiner Eltern wie auch Marianne Holm aus Freiburg setzte eine intensive lautsprachliche Förderung ein, die bei mir bereits im Alter von 9 Monaten begann. So wuchs ich in die Lautsprache hinein. Dies klingt so einfach gesagt bzw. geschrieben, war aber, zumal ich zunächst ohne jegliche Hörgeräte versorgt wurde, mit Arbeit der konsequentesten Art - besonders für meine Mutter - verbunden. Für mich dürfte das meist nach Spiel ausgesehen haben, was es für meine Mutter sicherlich nur selten war.
Hörgeräte wurden mir damals NICHT verordnet, da die HNO-Universitäts-Ärzte damals noch der Ansicht waren, dass diese bei meinem Hörverlust sinnlos seien. Erst auf Drängen meines Vaters bekam ich im Alter von knapp 2 Jahren ein Taschenhörgerät; das zweite für das Gegenohr folgte zwei Jahre später. Diese Taschenhörgeräte brachten jedoch nur eine "Signalwirkung", d.h., dass ich laute Geräusche in unmittelbarer Nähe wahrnehmen, wenn auch nicht differenzieren konnte. Zu einem auditiven Sprachverstehen kam ich trotz intensiven Hörtrainings nicht.
Meine Eltern wie auch M. Holm merkten sehr bald, dass sie mir übers Gehör die Lautsprache nicht anbahnen können würden. So wurde ein Gerät, bei dem gesprochene Sprache in taktile Reize umgewandelt wird, eingesetzt. Mit diesem Gerät war ich in der Lage, einfache Sätze ohne Absehen zu verstehen. Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass bei mir auf diese Weise eine Art "Ersatzhörzentrum" gebildet werden konnte, das später beim CI zum Tragen kam und kommt. (Die Erfahrungen mit anderen, von Geburt an gehörlosen und spätimplantierten Kindern/Jugendlichen, die bei M. Holm auf ähnliche Weise gefördert wurden wie ich, gleichen sich in dieser Hinsicht.)
Bis zum Abitur in Stegen bei Freiburg besuchte ich ausschließlich Schwerhörigenschulen. Ich glaube heute, dass die Entscheidung, mich trotz meiner bereits im Kindergartenalter den Hörenden ebenbürtigen Lautsprachkompetenz in die Schwerhörigenschule zu schicken, für mich sehr gut war. Ich bin davon überzeugt, durch die Freundschaften und den Austausch mit anderen Hörbehinderten zu einem selbstverständlichen Umgang mit meiner eigenen Hörbehinderung gekommen zu sein, zumal ich mich jederzeit an Diskussionen beteiligen konnte, ohne dass meine Hörbehinderung (bewusst oder auch unbewusst) zur Disposition gestellt wurde und ich somit keine Schulstunden nur "absitzen" musste. Nach dem Abitur studierte ich Gehörlosenpädagogik in München. Heute arbeite ich als Lehrerin für Gehörlose in Nürnberg.
Wie ich also als von Geburt an Gehörlose zum CI kam? - Zunächst lehnte ich ja das "Hören" an und für sich völlig ab, da mir Hörgeräte so gut wie nichts brachten; meine Eltern erinnern sich noch zu gut an die Kämpfe um das Anziehen der Hörgeräte - besonders während der ersten Jahre. So kam es, dass ich sie später praktisch nur gewohnheitsmäßig trug - bis zum Alter von 14 Jahren: An einem Schulvormittag versagten (zufällig?) in derselben Stunde beide Geräte (die seit meinem 8. Lebensjahr HdO-Geräte waren). Sofort wusste ich: Ich würde keinen neuen Start mehr mit Hörgeräten beginnen - das war's also. So fühlte ich mich befreit, da ich "endlich taub" sein konnte - und vom Verstehen her machte es eh keinen Unterschied, ob ich Hörgeräte trug oder nicht. 
Als ich mit knapp 15 Jahren von der Hauptschule auf die Realschule für Schwerhörige in Nürtingen/Neckar überwechselte, bekam ich einen Physiklehrer, der ein ungewöhnliches Herz für Schwerhörige hat: "Wenn sich alle Schwerhörigen Deutschlands zusammenschließen würden: Welche politische Macht hättet ihr dann!" gehört zu den unvergessenen Sätzen aus dem Physikunterricht. Dieser Physiklehrer dürfte im Übrigen manchen Schnecke-Lesern bekannt sein: Es ist Dietrich Förster, der u.a. in der Technikkommission der HCIG e.V. mitarbeitet.
D. Försters Ideen waren zum Teil wirklich ungewöhnlich (= u.a. kreierte er den inzwischen weltweit bei praktisch allen Hörgerätefirmen produzierten Audioeingang, außerdem einen Telefonverstärker). Mich hat die Art sehr beeindruckt, wie sehr D. Förster hinter uns Hörbehinderten stand und uns ermutigte, unseren Weg zu gehen. Somit wurde bei mir allmählich ein Punkt erreicht, an dem ich bereit war, aus eigener Entscheidung heraus einen neuen Versuch mit Hörgeräten zu starten und sie mir von D. Förster in Zusammenarbeit mit einem Akustiker von neuem verpassen zu lassen.
Mit diesen neuen HdO-Geräten (es waren damals die Siemens 224 PP-Geräte, die zu den Hochleistungs-HdO-Geräten der frühen 80er Jahren gehören) stieg ich gleich nach der "Erst-Anpassung" in einen Zug - und hatte gleich ein Schlüsselerlebnis: Ich hatte das Zuschlagen der Tür nicht nur gespürt, sondern wirklich gehört! Da wusste ich: Von nun an würde ich wieder mit Hörgeräten leben. Im Laufe der Zeit lernte ich noch einiges mehr zu hören, u.a. am Telefon zwischen einem kurzen "ja" und einem langen "neeeeein" an der Länge zu unterscheiden (= es fiel mir anfangs schwer, überhaupt Anfang und Ende der "Tondauer" für "ja" und "neeeeein" zu bemerken). Sprachverstehen war jedoch nach wie vor nicht "drin". Auch konnte ich nach wie vor nicht unterscheiden zwischen einem Raum, in dem Menschen durcheinander sprachen und Straßenlärm oder gar Musik - es sei denn, ich konnte z.B. die Trommel spüren.
Vom CI hörte ich bereits sehr früh, wobei mir aufgrund der Horrorgeschichten der Dürener Klinik Anfang der 80er Jahre (damals wurde noch ein transkutanes Verbindungskabel mit Stecker implantiert, so dass Entzündungen praktisch an der Tagesordnung waren) klar war: Das ist nichts für mich. Außerdem stehe ich so sehr zu mir selber, so, wie ich bin - ich möchte gar nicht anders sein.
Erst im Herbst 1988, im Alter von 20 Jahren, sprach ich erstmalig mit dem Freiburger Arzt Prof. Dr. Löhle über das CI, wobei wir zu dem Schluss kamen, dass das CI für Leute wie mich wohl nicht oder kaum geeignet sei. Zum damaligen Zeitpunkt gab es allerdings noch kaum mit mir vergleichbare Fälle. Von da an sollte es noch 12 Jahre dauern, bis ich mich wirklich für ein CI entscheiden konnte, wobei ich hin und wieder alle paar Jahre Gespräche mit Prof. Löhle führte. Interessant daran war, dass in diesen Gesprächen eine stetige Entwicklung zu beobachten war: Eine Entwicklung, die statt finden konnte, da die Erfahrungen mit dem CI zunahmen - gerade auch für von Geburt an gehörlose und lautsprachlich aufgewachsene Erwachsene. Die Entscheidung für ein CI fiel mir jedoch sehr schwer, weil ich meine Gehörlosigkeit als so selbstverständlich empfand, dass ich es mir kaum vorstellen konnte, irgendetwas hören zu können. So studierte ich ohne CI, beendete auch das Referendariat und das 2. Staatsexamen ohne CI - und heute bin ich gewissermaßen stolz, meine gesamte Ausbildung ohne irgendwelche Hörhilfen wie CI oder auch der Mikroportanlage gemacht zu haben: Die Dozenten wurden in Sprechstunden über meine Gehörlosigkeit aufgeklärt; ich setzte mich bei Referaten direkt neben die Referenten und bekam auf diese Weise meist mehr mit als die hörenden Studenten in den letzten Reihen, war zudem Kopierweltmeisterin der studentischen Mitschriften und konnte in diskussionsintensiven Seminaren dank Gebärdensprachdolmetschern mitdiskutieren, egal wie viele Studenten anwesend waren. (So sinnlos ist also die Gebärdensprachkompetenz trotz z.T. heftigster ideologischer Diskussionen absolut nicht - für mich stellt sich hier lediglich die Frage nach dem Zeitpunkt des Gebärdenspracheinsatzes, damit die "sensiblen" Phasen zur Bildung eines Hör- und Sprachzentrums genützt werden können. Nie würde ich auf diese Kompetenz verzichten wollen - genauso wenig wie z.B. auf meine Englischsprachkenntnisse!)
Noch während des Studiums konnte ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis beobachten, wie sich immer mehr von ihnen für ein CI entschieden - und wie sich das CI bei ihnen auswirkte. Was für mich persönlich dabei sehr wichtig war, war, dass sich diese Leute nicht veränderten, obwohl von ihnen praktisch alle vom CI profitierten und dadurch zum Teil überhaupt erst gewisse berufliche Positionen annehmen konnten. Vor allem Ertaubte blühten zum Teil regelrecht auf, blieben sich selbst dennoch treu. Ich hatte aus einem mir selbst heute nicht erklärbaren Grund Angst davor, dass das CI mich in irgend einer Weise verändern könnte - das wollte ich auf keinen Fall. Nein, ich wollte genau dieselbe bleiben, die ich schon immer war, bin und sein werde!
Gespräche mit einem ehemaligen Schulkameraden von mir, der selbst von Geburt an gehörlos und - wie ich - ebenfalls lautsprachlich aufwuchs und inzwischen selber ein CI trug, ermutigten mich sehr, auch für mich ein CI in Betracht zu ziehen. Ich wusste einfach, dass das CI eine Möglichkeit für mich sein würde - und dass es auch mein Weg werden würde, selbst wenn es für mich bedeuten würde, einen Teil meines Herzens auf den OP-Tisch zu legen. Gerade das machte mir die Entscheidung für das CI trotz des "inneren Wissens", dass es mein Weg sein würde, letztlich so schwer. Bei der Entscheidung geholfen haben mir dabei vor allem die über Jahre gehenden Gespräche mit hörbehinderten Freunden, aber auch die vielen e-Mails mit einem anderen ehemaligen Schulkameraden, der heute selbst CI-Träger ist und an der MHH als HNO-Arzt arbeitet, Dr. Jürgen Neuburger. Ich sah bei einer CI-Operation bei Prof. Lenarz zu, was für mich sehr wichtig war, da ich sehr viel Angst vor der OP selber hatte. Ich war richtig beeindruckt davon, wie sauber gearbeitet wurde. Unmittelbar danach fiel die endgültige Entscheidung: Ich würde mich implantieren lassen.
Von dieser Entscheidung abbringen konnten mich auch nicht irgendwelche Unterstellungen von gewissen Gehörlosen, die mir u.a. vorwarfen, ich würde nicht voll zu meiner Gehörlosigkeit stehen, weil ich mich für ein CI entschieden hätte - oder ich würde es nur "für die Hörenden" tun, um mich "anzupassen". - Diese Leute sitzen für mich in exakt demselben Boot wie auch die (hörenden) Leute, die täglich mit Hörbehinderten zu tun haben und gar in höchsten Gremien wie im Berufsverband Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen tätig sind und auf früheren Bundestagungen keine qualifizierten Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung stellen wollten, obwohl es doch gerade für sie und den Berufsverband eine reine Ehrensache darstellen müsste...
So wurde ich am 18. Dezember 2000 in der MHH mit einem CI "versorgt". Als ich nach der Narkose aufwachte, war ich erst mal nur unendlich dankbar, dass mein Gesichtsnerv in Ordnung war. Dass der Geschmacksnerv auf der einen Zungenhälfte noch über Monate hinweg beeinträchtigt sein würde, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Die Heilung verlief - abgesehen von dem Antibiotikum, das mir noch 3 Wochen lang Bauchschmerzen, die nicht im Zusammenhang mit der CI-OP standen, bescherte - völlig unproblematisch. Mitte Februar 2001 erfolgte dann die Erstanpassung.
Sämtliche CI-tragende Freunde und Bekannte hatten mich vorgewarnt: Die ersten vier Wochen mit CI würden schrecklich sein - und es gälte, erst mal diese vier Wochen zu überstehen.
In der Tat: Die ganze Umwelt schien in der ersten Woche der Erstanpassung nur aus Pfeifen zu bestehen. Meine eigene Stimme konnte ich am ersten Tag überhaupt nicht hören, dafür konnte ich sofort nach der Erstanpassung gleich drei verschiedene Vögel pfeifen hören - und ich wusste sofort, dass es Vögel waren. Das Vogelpfeifen faszinierte mich von Anfang an, in keinem einzigen Moment wurde mir das Pfeifen der Vögel zuviel. - Dagegen hatte ich damit zu kämpfen, dass alles gleich hoch zu sein schien - pfeifend hoch ohne jeglichen Unterschied. In den ersten beiden Wochen piepsten die Männer genau so hoch wie die Frauen. Kein Unterschied übrigens zu den vorbei pfeifenden Bussen und Autos, die ich hätte reihenweise hochgehen lassen können (inzwischen allerdings nicht mehr...). Auch konnte ich anfangs noch nach einer Toilettenspülung rückwärts rausspringen, es war echt unglaublich, was da für ein Lärmspektakel veranstaltet wurde.
Der Anfang war sehr anstrengend für mich; die vielen Höreindrücke konnte ich zunächst nicht bzw. kaum einordnen oder gar deuten. Vor allem in der Anfangszeit war es deutlich: Hören und Verstehen sind zwei völlig verschiedene Paar Stiefel, die für mich in den ersten Wochen noch sehr weit, scheinbar unerreichbar weit auseinander standen. Ich konnte mir in den ersten Wochen nicht vorstellen, jemals irgendein "echtes" akustisches Verstehen mit dem CI zu erreichen. Es waren immer die anderen, die viel optimistischer waren als ich...
Erst nach und nach differenzierte sich das Hören - wie von selbst. Plötzlich gab es immer mehr Tiefen und so konnte ich Männerstimmen eindeutig von Frauenstimmen unterscheiden - und irgendwann konnte ich dann sogar auch einzelne Sprecher wieder erkennen an ihrer jeweiligen Stimme. Auch kann ich, wenn der Umgebungslärm nicht zu groß ist, mit dem CI bei vorbeifahrenden Autos erkennen, ob sie einen Diesel- oder Benzinmotor haben.
Vieles war einfach neu für mich: Von der Existenz mancher Geräusche wusste ich schlicht und einfach nichts. Ein Beispiel dafür sind die Plastiktüten. Rein physikalisch hätte ich zwar wissen müssen, dass diese Plastiktüten Geräusche, ja sogar Lärm machen können, aber diese Realität existierte in meiner bisherigen Erfahrung einfach nicht.
Dass das Umblättern von Papier Geräusche macht, wusste ich auch rein "theoretisch" - aber dass ich das Umblättern von Zeitungen aus einer Entfernung von noch 15 Metern würde hören können (= und dies war bereits in der ersten CI-Woche möglich, obwohl ich doch meine eigene Stimme zunächst nicht mal hören konnte!) - damit rechnete ich nicht. Und dass ich das Ticken der elektrischen Küchenuhr noch aus dem Wohnzimmer hören würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Auch rechnete ich nicht damit, dass ich z.B. das An- und Ausziehen meiner Jacke würde hören können - zu selbstverständlich war die "Stille" für mich vorher, die für mich gar nicht so still war. War ich es gewohnt, z.B. von der Arbeit heimzukommen und meine "Ruhe" in der Wohnung zu haben, so machte plötzlich fast jedes Ding, das ich in die Hand nahm, ein Geräusch - es gab praktisch "Antwort". Die Dinge erschienen mir aus diesem Grunde anfangs ziemlich fremd, obwohl es zum Teil sehr vertraute Dinge waren; ich musste sie quasi neu kennen lernen. Auch höre ich das Tippen am Rechner wie auch das Laufen des Rechners selber; es kam mir anfangs so vor, als würde mich dauernd jemand bei der Arbeit stören.
Trotzdem konnte und wollte ich das CI nicht ausmachen: Es war - trotz aller Anstrengung - doch eine gewisse Faszination in allem drin, die mich von Anfang an gefangen nahm. So war es zum Beispiel mit der Musik: War ich als Gehörlose vor dem CI (für Hörende sicherlich nicht nachvollziehbar) stolz auf meine Unabhängigkeit von der Musik, so spürte ich noch in der 1. CI-Woche in einem Hannoveraner Geschäft, wie es mich "innerlich zog" - und ich wusste zunächst nicht, was es war, weil ich es in dieser Weise bisher nicht kannte. Das war also meine erste Bekanntschaft mit der Musik übers Gehör; die "Unabhängigkeit" von der Musik habe ich daraufhin sehr bald verloren - und heute kann ich mir ein Leben ohne Musik nicht mehr vorstellen. Ein guter Freund, der selbst hörbehindert ist, hörte mit mir zusammen verschiedene Musik-CDs an, erklärte mir die Musik so lange, bis ich es selbst erkennen konnte: "Das ist das Keyboard - jetzt kommt die E-Bass-Gitarre dazu etc." Faszinierend war für mich, dass ich das alles GLEICHZEITIG nebeneinander hören und erkennen lernen konnte, was vorher für mich mit Hörgeräten nur als ein grauer, sich nie verändernder Einheitston rüberkam. - Ähnlich war es nun, wenn ich in die Stadt ging: Da hört man einen Musikanten dudeln, gleichzeitig hört man die Kinder mit ihren Skateboards auf den Kopfsteinpflastern fahren, gleichzeitig hört man aber auch den Lärm und das Stimmengewirr der vielen Passanten. - Auch wenn ich auf meinem Balkon unterm Dach im 4. Stock saß, konnte ich, ohne in den Hof zu sehen, hören, wie zuerst die Hoftüre aufgemacht wurde, dann jemand die Mülltonne öffnete, etwas reinwarf und die Tonne wieder schloss, ehe er wieder zur Türe reinging. Zwar hatte ich vor dem CI genauso Teil am Leben um mich herum - aber mit dem CI wurde ich nochmals auf eine andere Weise in das Lebensgeschehen mit einbezogen...
Als ich etwa einen Monat nach der Erstanpassung mit dem Auto nachts auf der Autobahn unterwegs war, geriet ich in einen Stau. Nichts Ungewöhnliches an und für sich - bis mich dann plötzlich ein immer lauter werdendes "tatütata" erschreckte. Den Adrenalinstoß spüre ich noch heute in meiner Erinnerung. Denn vor dem CI konnte ich das Sirenengeheul selbst mit Hörgeräten nicht immer hören - und wenn, dann nur, wenn der Kranken- oder Polizeiwagen unmittelbar an mir vorbeifuhr. Und das auch nur dann, wenn ich draußen war; also nie vom geschlossenen PKW aus. Jetzt also hörte ich plötzlich das ganz klare "tatütata" vom Inneren des Autos aus und erschrak, weil ich den Kranken- oder Polizeiwagen unmittelbar neben mir vermutete. Aber ich konnte noch kein Lichtzeichen sehen, was mich noch mehr verwirrte. Erst nach einem Moment sah ich den Krankenwagen kommen. Ich musste erst allmählich lernen: Wenn ich das Sirenengeheul höre, muss ich nicht gleich erschrocken und blind zur Seite springen, denn dann ist es noch weit genug entfernt.
Als ich zum ersten Mal meine Fahrradklingel - ahnungslos - betätigte, fiel ich selber vor Schreck fast vom Fahrrad runter.
Doch es gibt nicht nur "(Er)Schreckgeschichten" - diese blieben glücklicherweise begrenzt und verloren mit der Zeit zudem ihren Schrecken.
Insgesamt gewöhnte ich mich nach den ersten Wochen ziemlich schnell an das CI und mochte es abends vor dem Zubettgehen kaum ausziehen. Wurde der Akku zum Beispiel beim Tippen am Rechner leer, war mir ein "gefühlloses" Tippen nicht mehr möglich, ehe der Akku gewechselt war. Es gab und gibt auch heute noch, nach gut einem Jahr nach der CI-Anpassung, immer wieder Neues zu entdecken: Ich erinnere mich z. B. sehr gut an den einen Spaziergang durch die Wiesen an einem Juniabend. Da - was waren das für Geräusche? Es seien Grillen, die zirpten, erklärte mir mein Begleiter. Als Kind wurden mir häufig Geschichten vorgelesen von romantischen Sommerabenden, an denen die Grillen zirpten - und so verband ich in meiner Vorstellung Grillenzirpen als einen sehr romantisch-verträumt weichen Klang, bei dem das Herz quasi schmelzen müsste - und nun klang das Zirpen ziemlich klar und deutlich und gar nicht so sehr zum "romantischen Herzzerschmelzen". - So waren auch viele Tierstimmen neu für mich - und an den 4. August 2001 erinnere ich mich deshalb so gut, weil ich an diesem Tag zum ersten Mal in meinem Leben eine Katze miauen hörte... - Ein sehr beeindruckendes Erlebnis war für mich, an einem Frühlingsmorgen um halb sechs Uhr rauszugehen (nachts habe ich das CI ja nicht an!): Ich wurde von einem Vogelkonzert bisher ungekannten Ausmaßes überrascht und so beglückt, dass ich den ganzen letzten Winter auf den nächsten Frühling wartete, um dieses Konzert wieder einmal hören zu können. Jetzt erlebe ich gerade meinen zweiten "Hörfrühling" im wortwörtlichen Sinne...
Und wie steht es eigentlich mit dem Telefonieren, was für viele Leute so wichtig ist? - Inzwischen kann ich mit meiner Mutter ziemlich gut telefonieren, d.h. dass sie mir praktisch alles erzählen kann, selbst von Dingen, von denen ich vorher nichts wusste. Wir telefonieren etwa zweimal in der Woche - hörtrainingsmäßig. Momentan liest sie mir aus dem Buch "Der Kleine Prinz" von A. de Saint-Exupéry vor. Wir kommen - mit beiderseits geduldiger Wiederholungen - jeweils nur einige Seiten voran pro "Sitzung", aber wir kommen voran. Wie Tranquilla Trampeltreu, einer Fabelfigur aus meinen Kindertagen, einer Schildkröte, die sich Schritt für Schritt auf den langen Weg macht, um an der Hochzeit des Königs der Tiere teilnehmen zu können und sich trotz des Gespötts der Tiere durch nichts vom Weg abbringen lässt.
Mit mir fremden Leuten telefoniere ich jedoch auch heute nicht gerne. Besonders blöd ist es dann, wenn eine Versicherung bei mir anruft und für irgendetwas werben möchte; auch etwas, was mir in "CI-Vorzeiten" unbekannt war. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich sechs Monate nach der Erstanpassung: Das Telefon klingelte - es rief ein Ehepaar an, das ich seit 14 Jahren nicht mehr gesehen hatte und somit nicht mit einem Anruf ihrerseits rechnete. Das Ehepaar kündigte seinen Besuch eine halbe Stunde später an, da es gerade zufälligerweise in meiner Nähe weilte. "Na", dachte ich mir, "du wirst ja sehen, ob du dich selbst reinlegst oder nicht!" - Und tatsächlich - das Ehepaar stand wirklich eine halbe Stunde später vor der Türe und ich wusste nicht, über was ich mehr überrascht sein sollte: Über das Wiedersehen nach so vielen Jahren - oder darüber, dass ich mich also nicht selbst reinlegte mit dem raschen Decken des Tisches für den Tee. Kurz darauf rief mich eine Bekannte an, die, wie meine Mutter mir später erzählte, nur "testen" wollte, ob ich wirklich am Telefon so gut verstehen könne wie meine Mutter es ihr erzählte. Sie erzählte mir von den Kniebeschwerden ihres Mannes und von dem Umzug ihrer Tochter; Neuigkeiten, die ich vorher nicht kannte - und ich konnte alles verstehen, da sie eine sehr deutliche und klare Stimme hat.
Anfangs verstand ich jedoch überhaupt nichts auf auditivem Wege ohne Absehen. Für mich galt zunächst, die Laute überhaupt erst mal kennen zu lernen: Mit Hörgeräten war ich nur in der Lage, ein klares [a] hören zu können. (Heute mit dem CI weiß ich, dass auch die "Klarheit" des "Hörgerätevokales" [a] gar nicht so laut und klar war, wie es für mich damals klang, weil ich einfach noch keinen Vergleich hatte.) [o] und [e] waren wesentlich leiser als das [a], hatten aber genau dieselbe "Einheitsklangfarbe" wie das [a]. Die restlichen Vokale und Umlaute konnte ich bei bestem Willen nicht hören. 
So war ich erstaunt, als ich plötzlich mit dem CI das "i" sehr hell und genauso laut wie andere Vokale wahrnehmen konnte, was mich verwirrte; ich dachte immer, dass dieser Vokal ein leiser, dunkler, tiefer Vokal sei, weil ich ihn bisher ja nur spüren konnte, auch wenn ich vom Studium her theoretisch wusste, dass dieser Vokal deutlich höher klingen musste als z.B. das [o]. Das war es u.a. auch, warum zu Beginn die zwei verschiedenen Paar Stiefel namens "Hören" und "Verstehen" für mich so weit auseinander zu stehen schienen.
Bei mir werden diese Stiefel zwar nie direkt nebeneinander stehen können, d.h., dass ich immer zu den 50% der CI-TrägerInnen ohne "offenes Sprachverstehen" (ein Sprachverstehen, das völlig auf das Absehbild verzichtet) gehören werde. Dennoch ist das "Näher-aneinander-rücken" der zwei verschiedenen Paar Stiefel sehr deutlich zu sehen/hören:
Nach der Erstanpassung nahm ich zum ersten Mal an einer Lehrerkonferenz teil, für die ich vergaß, rechtzeitig einen Gebärdensprachdolmetscher zu bestellen. Nach der Konferenz ging ich mit starken Kopfschmerzen (und Kopfschmerzen sind für mich ungewöhnlich!) nach Hause. Ich konnte mich danach nur noch ins Bett legen, so erledigt war ich. ABER: Ich hatte während der ganzen Konferenz meistens den "roten Faden". Und das war neu für mich. So wollte ich es wissen: Wenn ich bei der nächsten Konferenz ohne Dolmetscher wieder so starke Kopfschmerzen bekommen würde, würde ich mir auch in Zukunft weiterhin einen Dolmetscher besorgen. Die nächste Konferenz kam - und die Kopfschmerzen blieben aus. Bei der dritten Konferenz ohne Dolmetscher blieben die Kopfschmerzen wieder aus - UND: Diesmal verstand ich mehr als nur den "roten Faden". Inzwischen verstehe ich zum größten Teil sogar wortwörtlich, was gesprochen wird. Wird jedoch mal z.B. bei einer Konferenz mit über 50 Teilnehmern "aus dem hintersten Winkel" heraus diskutiert, wohin meine FM-Anlage nicht reicht, dolmetscht meine Chefin für mich.
Inzwischen besuchte ich mehrere Vorträge, denen ich auch - mit FM-Anlage - folgen konnte. Dies gehört auch zu den Dingen, die "früher" für mich völlig undenkbar waren. Von vornherein besuchte ich Vorträge erst mal gar nicht, wenn kein Gebärdensprachdolmetscher bereit stand. Allerdings brauche ich zum Verstehen immer das Mundbild, d.h., dass ich die Vortragenden bitte, nicht beispielsweise zur Wand hin zu reden.
Musste ich im Gespräch mit vollbärtigen Männern vor CI-Zeiten 100 mal nachfragen - so frage ich jetzt deutlich weniger nach. - Auch laufen Besprechungen mit einer Anzahl von z.B. zehn hörenden Leuten für mich heute wesentlich stressfreier ab.
Selbst in der eigenen Familie wirkt sich das CI mit den damit verbundenen deutlich größer gewordenen Verstehensmöglichkeiten deutlich aus: Ich verstehe zum Teil am Tisch ohne Absehen, was gesprochen wurde/wird. Wenn es mal "hitziger" bei Tischdiskussionen zu fünft oder noch mehr Leuten zugeht, falle ich verstehensmäßig kaum noch raus, solange kein Hintergrundlärm besteht (weshalb ich z.B. im Lehrerzimmer während der Pause nach wie vor aufs reine Absehen angewiesen bin). Erst dieser Tage saß ich mit meiner Mutter alleine am Tisch und hatte ausnahmsweise den SP nicht an, da ich gerade von einem Waldlauf zurück kam. Meine Mutter redete - und ich hörte sie nicht, gab also keine Antwort. Als meine Mutter merkte, dass ich keinen SP an hatte, stupste sie mich wie in " guten alten Zeiten" an und sagte: "Zieh doch bitte den Sprachprozessor an, ich führe ja sonst Selbstgespräche!"
Bis es allerdings so weit kam, fand ein nicht immer einfacher Lernprozess statt. Ein Lernprozess, verbunden mit inneren Unsicherheiten, da ich zeitweise nicht mehr wusste, wohin meine Versteh-"Grenzen" inzwischen verschoben wurden, wo ich doch bisher meine Grenzen als Gehörlose ohne CI genau kannte. Beispielsweise geht in mir die Alarmglocke an, wenn der Direktor auf der Lehrerkonferenz seinen Kopf neigt, ich also nicht mehr "optimal" ablesen kann. Da sind die alten Verhaltens- und auch Überlebensmuster in kommunikativer Hinsicht noch so präsent in mir, dass ein gelassenes Abwarten, ob ich ihn evtl. auch so verstehen könnte, schwer fällt. 
Auch in der Arbeit mit den gehörlosen Jugendlichen spüre ich deutlich, dass ich inzwischen CI-Trägerin bin: Die "jüngere" Jugend, die heute - im Gegensatz noch zu meiner Generation - völlig selbstverständlich mit der Existenz des CIs aufwächst, ist froh, einen Gesprächspartner in "Sachen CI" gefunden zu haben. Selbst solche, die aus verschiedenen Gründen kein CI tragen, profitieren von meinen CI-Erfahrungen, denn sie kennen mich noch ohne CI und merken, dass ein Leben ohne CI auf andere Weise genauso lohnend ist wie ein Leben mit CI - schließlich lebte ich selbst 32 Jahre lang ohne CI und möchte davon keinen einzigen Tag missen. - Genauso wenig wie ich jetzt keinen Tag mehr ohne CI missen möchte (noch nie habe ich das CI an einem Tag nicht angezogen, selbst dann nicht, wenn ich krank war - etwas, was mit Hörgeräten völlig undenkbar war!).
Das Hören mit dem CI ist für mich einerseits eine Selbstverständlichkeit geworden - und doch ist es für mich nach wie vor eine Besonderheit, für die ich immer noch ganz bewusst täglich dankbar bin, denn ich kann mir ein Leben ohne CI nach gut einem Jahr tatsächlich nicht mehr vorstellen. Interessant ist auch, dass ich an das Hören vor dem CI keine konkreten Erinnerungen habe: Zwar kann ich beschreiben, WAS ich gehört habe - habe aber keine Erinnerung an das WIE bzw. an den KLANG. Bei dem Hören mit dem CI kann ich mich jedoch inzwischen erinnern, was wie klingt.
Das Schöne für mich mit dem CI ist, dass ich lebenslänglich hörbehindert bleibe (und ich bleibe mir in dieser Hinsicht treu!); das "Ende der Fahnenstange" mit dem CI ist im Rahmen meiner Hörbehinderung allerdings noch lange nicht erreicht, denn auch jetzt entdecke ich noch fast täglich etwas Neues. Verstehensmäßig legte ich gerade in den letzten Monaten und Wochen am meisten zu, nachdem ich in den ersten Monaten die Geräusche und das auditive Wahrnehmen der Sprache erst mal kennen lernen musste.
Auf dem nicht implantierten Ohr trage ich inzwischen wieder mein altes Hörgerät. "Wieder" deshalb, weil es mich zunächst völlig unzufrieden machte, wie wenig ich mit dem Hörgerät eigentlich höre. Wenn ich probeweise nur mit dem Hörgerät rumlief, fing ich an, Türen zu knallen, laut "lalala" (um den "gut" zu hörenden Vokal [a] hören zu können) zu rufen etc. - nur um IRGENDWAS hören zu können. Autos fahren wieder leise an mir vorüber - ich höre sie oft erst dann, wenn sie unmittelbar an mir vorbeifahren. Die 5 m von mir entfernt schwatzenden Nachbarn kann ich nicht mehr hören. Dies alles machte mich so unzufrieden, dass ich - wieder einmal - beschloss, mich für immer vom Hörgerät zu trennen. Der Unterschied zwischen dem CI und dem Hörgerät ist für mich heute höchstens noch mit "Tag und Nacht" zu vergleichen. - Erst seit einigen Monaten habe ich mich dazu durchringen können, das Hörgerät doch gleichzeitig wieder neben dem CI zu tragen, selbst wenn ich bei eingeschaltetem Sprachprozessor nicht mal merke, ob das Hörgerät ein- oder ausgeschaltet ist, so sehr "überlappt" das CI das kümmerliche Hörgerät. Aber sobald ein Akku vom CI leer wird, "höre" ich wieder "wie früher" - und das bedeutet für mich, dass doch irgendetwas ankommen muss - und das ist auch der Grund, warum ich das Hörgerät weiterhin trage: Ich möchte meinen Hörnerv nicht verkümmern lassen.
Zum Abschluss möchte ich nochmals betonen, dass die Entscheidung für ein CI bei von Geburt an gehörlosen Erwachsenen wie bei mir immer nur eine Einzelfallentscheidung sein kann, die abhängig ist - vor allem von der Lautsprachkompetenz in gesprochener Form. Ein Wagnis bleibt es in solchen Fällen immer - ein Wagnis, das bei mir glücklich endete.
In meinem Fall war die für mich zunächst sehr schwere, über Jahre gehende Entscheidung für ein Leben mit CI eine der besten - und gesegnetesten! - Entscheidungen, die ich je hätte treffen können. Dass ich überhaupt die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung bekam, habe ich vor allem meinen Eltern wie auch M. Holm zu verdanken, die mich - auch ohne Hören - lautsprachkompetent werden ließen. Aber auch D. Förster, denn durch ihn fand meine "Hörbiographie" im Alter von 14/15 Jahren kein endgültiges Ende. Danken möchte ich auch den vielen Freunden, die mich begleiteten auf dem Weg zum CI hin.

Maike Stein
(Bericht entstanden an Pfingsten 2002; überarbeitet im Juli 2002)
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